Thomas Engst

Nachdem letzte Woche der Baum des Jahres 2014 gekürt wurde, steht jetzt auch der Gewinner in der Kategorie der Orchideen fest. Den Titel Orchidee des Jahres 2014 darf der Blattlose Widerbart (Epipogium aphyllum)  für sich beanspruchen.

Mit der Wahl der Orchidee des Jahres sollen heimische Orchideen in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden, von denen Lebensräume und Arten besonders stark gefährdet sind. Wenn im Jahr 2014 die Wahl auf den Blattlosen Widerbart gefallen ist, dann in der vollen Absicht, den Verlust artenreicher und langjährig ungestörter Wälder sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa zu thematisieren.

Durch die Ernährung über Wurzelpilze ist der Widerbart in der Lage, tiefschattige Wälder zu besiedeln. Diese Wälder zeichnen sich durch ein stabiles, kühl-feuchtes Mikroklima aus. Man kann den Widerbart ruhigen Gewissens als typische “”Urwald-Art” bezeichnen. Neben montanen und borealen Nadelwäldern wird die Art vor allem in diversen Buchenwaldgesellschaften angetroffen. Um beste Voraussetzungen für eine Besiedelung zu bieten, muss der Boden einen Mindest-Basengehalt vorweisen. Der geologische Untergrund ist dabei nicht so wichtig.

Im Gegensatz zu andern Orchideen bildet der Widerbart kein Blattgrün aus. Der oberirdische Teil der Pflanze besteht aus einem blattlosen, blassen, kahlen und 5-20 cm hohen Stängel. Die wenigen Blüten besitzen sechs in zwei Kreisen angeordnete Blütenblätter. Ein auffälliges Merkmal ist die nach oben gerichtete Blütenlippe, die mit vier bis sechs Reihen purpurfarbener Papillen besetzt ist. Die unterirdischen Organe bestehen aus einem korallenförmigen Rhizom, aus dem sich lange Ausläufer bilden, über die sich die Art auch ungeschlechtlich vermehren kann. Durch das fehlen des Blattgrüns und die dadurch bedingte Unfähigkeit zur Photosynthese ist diese Pflanze lebenslang auf die Symbiose mit Wurzelpilzen angewiesen. Über diese bezieht er die benötigten Nährstoffe.

Epipogium aphyllum  ist in der nördlichen Hemisphäre weit verbreitet aber überall selten. In seinem großem eurasischen Areal liegen die Vorkommen  sowohl in der nördlichen Nadelwaldzone als auch in der gemäßigten Laubwaldzone. Schwerpunkte der Verbreitung in Europa sind in Skandinavien und in den Gebirgen. In Deutschland ist der Widerbart in allen Bundesländern nachgewiesen worden, blieb aber stets eine große Seltenheit. In Sachsen, Brandenburg und Schleswig.Holstein ist die Art bereits seit vielen Jahrzehnten nicht mehr aufgefunden wurden. In allen anderen Bundesländern, ausgenommen Baden-Württemberg, gilt sie als stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht.

Der Widerbart ist existentiell von der Erhaltung des Mikroklimas an seinem Wuchsort abhängig. Veränderungen, die Auflichtung des Baumbestandes, müssen daher unterlassen werden. Man konnte in der Vergangenheit oft beobachten, dass Epipogium aphyllum verrottete Stämme und Stubben besiedelte. Stärkeres und damit ökologisch wichtiges Totholz ist aber in unseren heutigen Wäldern eine Mangelware. Dadurch fehlt dem Widerbart eine bedeutende Habitatsrequisite, die es ihr ermöglicht, auch ungünstige, weil trocken-warme Perioden zu überstehen. Man geht davon aus, dass der bereits eingetretene und weiterhin steigende Anstieg der Jahresmitteltemperatur die Existenzbedingungen für diese faszinierende Orchideenart weiterhin verschlechtern wird.

In diesem Sinne…