Thomas Engst
Eine Stadt übertage ist normalerweise nichts besonderes. Man kennt so ziemlich jeden Winkel der Heimatstadt oder man entdeckt im Urlaub unbekannte Flecken. Aber habt ihr euch auch schon einmal gefragt, wie es unter euren Füßen aussieht?
Vergangenen Samstag besuchte ich die Keller- bzw. Gewölbegänge meiner Heimatstadt Chemnitz. Wer regelmäßig hier im Blog vorbeischaut, der wird wissen, dass ich mich sehr für “Chems” interessiere und immer auf der Suche nach Neuem bin. Die Kellergänge befinden sich unter dem heutigen Stadtteil “Kassberg” und werden von den Jungs und Mädels des Chemnitzer Gewölbegänge e.V. in Schuss gehalten. Und das nun schon seit ca. 10 Jahren.

Los ging die Geschichte der Gänge 16. Jahrhundert. Als die Bayer das (vermeintlich) erste Reinheitsgebot eingeführt hatten, startete in Chemnitz so ziemlich jeder Haushalt mit dem Bierbrauen.  Als man dann dunkles untergäriges Lagerbier dem hellen obergärigen Gerstensaft den Vorzug gab, musste man das edle Getränk irgendwo lagern. Dazu schaute man sich in der Umgebung um und fand den Kassberg. Das weiche Gestein erlaubte den Bergleuten aus Freiberg und dem Erzgebirge, die gerade eine Flaute hatten, immerhin 2-8 cm Vorstoß pro Tag.

Die Gänge blicken damit also auf eine rund 500 jährige Geschichte zurück und hätten eine unglaubliche Menge zu erzählen. Es gibt sogar Gerüchte, dass sie vor dem Bier Salz gelagert hätten und damit knapp 100 Jahre älter sind als bisher angenommen.

Während der Nazi-Zeit wurden die Gänge zweckentfremdet und dienten als Luftschutzkeller. Für knapp 2500 Bewohner der Stadt konzipiert, fanden in der Bombennacht von Chemnitz 10000 Menschen Zuflucht. Jeder Kriegstreiber in der Welt, egal ob beyond the pond oder anderswo würde seine Aktionen überdenken, wenn er eine Nacht unter ähnlichen Umständen erlebt hätte. Eine Zeitzeugin beschrieb die Zeit im Luftschutzkeller als grauenhaft und prägend, viel schlimmer aber noch fand sie den Moment, als man die Keller verließ und die ganze Stadt brennen sah.

Ihren eigentlichen Sinn haben die Keller heute weitestgehend verloren. Moderne Kühlhäuser und Klimaanlagen machen mineralische Kühltruhen weitestgehend überflüssig. Da aber auch der Verein auf auf finanzielle Mittel angewiesen ist, hat man sich praktisch neu erfunden. Jetzt finden in regelmäßigen Abständen Konzerte und Kabarett-Aufführungen statt. Ebenfalls eignen sich die Räume für Festlichkeiten jeglicher Art.

Für mich als Botaniker stach eine Sache besonders heraus. Dadurch, dass das gesamte Kellersystem unter der Erde liegt, wachsen an manchen Stellen Wurzeln aus dem Mauerwerk und wirken wie dünne Finger. Auch einen auf dem Kopf stehenden Pilz soll es gegeben haben. Manche Gänge sehen wie der direkte Eingang in die Bathöhle aus.

Ich hoffe euch mit den Bildern einen kleinen Einblick gegeben zu haben und vielleicht schaut der eine oder andere Nicht-Chemnitzer mal vorbei. Für Ansässige ist es sowieso Pflicht 🙂 .

Im besten Falle bietet euch eure Stadt auch so eine Möglichkeit Geschichte hautnah zu erleben.