Stefanie Weigelmeier
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von Stefanie Weigelmeier. –

Achtung, das vorliegende Büchlein ist kein „Lehrbuch“ um sich mit CODIT zu beschäftigen! Es handelt sich vielmehr um die „historische Urschrift“ (wenn das 45 Jahre nach der Erstveröffentlichung schon so betitelt werden darf). Im Jahr 1977 haben Alex L. Shigo und Harold G. Marx, beide angestellt im Forest Service des U.S. Department of Agriculture in der hauseigenen monografischen Reihe dies veröffentlicht. Aus dem Originaltitel „Compartimentalization of decay in trees“ ergibt sich das Akronym CODIT.
Das vorliegende Büchlein stellt die Übersetzung des originalen Textes dar. Und nicht nur das. Besonders hervorzuheben sind die Aquarelle, die nun digital überarbeiteten Original-Illustrationen der Anfang des Jahres 2022 90 Jahre alt gewordenen Künstlers David M. Carroll.

CODIT – vom Modell zum Prinzip

Der deutsche Titel lautet entsprechend: „Abschottung von Fäule in Bäumen“.
Und hier beginnt die ganze Sache interessant zu werden, denn eine „Fäule“ muss ja erst entstehen.
Shigo & Marx schrieben zunächst von einem CODIT-Modell. Die Erkenntnisse der beiden Autoren waren grundlegend für die Entstehung der moderne Baumpflege und haben auch dazu beigetragen, dass die in den 1980ern noch weit praktizierte Baumchirurgie einen ersten Dämpfer kassiert hat. Das Rad der Zeit drehte sich weiter, das CODIT-Modell wurde vielfach diskutiert, erweitert und differenziert und zwei andere wohlverdiente Autoren, Dirk Dujesiefken und Walter Liese haben aus dem Modell ein Prinzip entwickelt (erschienen im Jahrbuch der Baumpflege 2006). Essentiell ist hier der Punkt, dass weit vor der Fäule die Verletzung kommt, bei der der Baum unmittelbar gegen die eindringende Luft reagieren muss! Glücklicherweise brauchte man im Englischen nur dacay gegen damage austauschen und konnte das schon etablierte Akronym behalten.
Während das CODIT-Modell sich räumlich orientiert und vier Wandtypen beschreibt, die bei der Abschottung wirken, betrachtet das CODIT-Prinzip die zeitliche Dimension der Wundreaktion von Bäumen und spricht dementsprechend von vier Phasen.
Zwischenfazit: interessiert man sich für die baumphysiologischen Grundlagen, lese man im Jahrbuch der Baumpflege 2006 von S. 21-40 nach oder im 2008 erschienen Buch von Dujesiefken & Liese „Das CODIT-Prinzip. Von den Bäumen lernen für eine fachgerechte Baumpflege.“

Inhaltlich ist das Büchlein nicht gegliedert, sondern beleuchtet Schlaglicht-artig einzelne Themenfelder. Die forstliche Brille wird mehrfach deutlich. So wird die Entwicklung einer hochwertigen Kiefer der einer minderwertigen Kiefer gegenübergestellt. Anschließend werden die häufigen Wundverursacher genannt: Vögel, kleine Tiere, Feuer, Insekten und große Tiere. Die kleinen und die großen Tiere sind jeweils Nagetiere (Hörnchen, Biber, Stachelschweine). Die dargestellten Käfer sind Männchen und Weibchen der schwarz-gelb-gemusterter Bock-Käfer Glycobius speciosus. Die Art ist sehr spezialisiert und lebt ausschließlich in und von Acer saccharum, dem Zucker-Ahorn in seiner Heimat im östlichen Nord-Amerika.

Die erläuternden Sätze wirken manchmal etwas schwerfällig und ungelenk. Beispielsweise wird erzählt, dass der Gelbbauch-Saftlecker ein Schadmuster erzeugt, welches „Handfläche und Finger“ genannt wird. Im deutschsprachigen Raum müssen wir dazu wissen, dass es sich hierbei um die nordamerikanische Spechtart Sphyrapicus varius handelt, der ähnlich wie unsere heimischen Spechte die Rinde perforiert um den austretenden Saft aufzulecken.

Baumschäden heute

Heute und im Kontext Stadtbaum und Baumkontrolle dürfen wir uns realistisch noch Kraftfahrzeuge, Mähgeräte, Schneeschieber, Astungswunden, Wurzelkappungen und für den Wald Rückeschäden usw. hinzudenken. Neben den hauptsächlich durch Mitmenschen verursachten Schäden ist das Prinzip CODIT auch bei natürlich auftretenden Ereignissen wie Kronenbruch, Astbruch oder Tierfraß anwendbar.

Einfaulungen, Risse, Totholz oder Höhlungen in der Baumkontrolle sind zunächst mal nur Merkmale, bitte nicht gleich ein Schad-Merkmal! Einen alten Baum ohne solche Merkmale gibt es nicht. Lasst uns lernen, diese Merkmale zu akzeptieren und fachgerecht baumerhaltend damit umgehen!

Nach heutigem Wissensstand ordnen wir ökologische Kreislaufzusammenhänge ganz anders ein. Einfaulungen, Risse oder Höhlungen sind Merkmale, die bei der Baumkontrolle aufgenommen werden, aber eben auch Habitatmöglichkeiten für die nicht-menschlichen Mitbewohner. Viele Schäden, die in der Baumkontrolle aufgenommen werden, entstammen jedoch nicht-fachgerechtem Verhalten. Hierzu  hätte ich mir Anmerkungen der Übersetzer oder eine sonst wie geartete Kommentierung gewünscht.

Kernstück Kompartimentierung und Baumphysiologie

Die – wieder für die Zeit betrachtet – revolutionäre Beschreibung der Kompartimentierung nach einer Verletzung des lebenden Holzkörpers stellt das Kernstück des Büchleins dar.
Der Hauptteil bilden Darstellungen von typischen Baummerkmalen, die durch äußere Einwirkung entstanden sind und die so oder ähnlich an den meisten Bäumen zu finden sind. Radial- und Längsschnitte zeigen anschaulich, wie der Holzkörper aufgebaut ist. Detaillierte Ansichten zeigen zusätzlich dreidimensionale Schnitte soweit abstrahiert, dass das CODIT-Prinzip klar wird.

Fazit: Das CODIT-Prinzip dürfte in der fachgerechten Baumpflege oder Baumkontrolle hinreichend bekannt sein. Das vorliegende Büchlein kann ergänzen, auffrischen und dabei unterstützen, Bekanntes einzusortieren.
Das Buch ist ein wissenschaftliches Bilderbuch im besten Sinne. Die wichtigen Details wurden vom Illustrator anschaulich herausgearbeitet. Zeichnungen können vieles besser hervorheben was auf Photos verborgen bliebe.
Zum weitergehenden Studium empfehle ich, die Abbildungen hier mit den teilweise angefärbten histologischen Schnitten der beiden oben genannten Publikationen zu ergänzen.
Das Büchlein ist ein schönes Geschenk für Fachpublikum mit bibliophilem Interesse. Zur Komplettierung einer dendrologischen Bibliothek, für Baumpflegerinnen, Baumkontrolleure und alle anderen an der Materie Interessierten. Die Ausgabe ist hübsch gebunden, in einer wertigen, dekorativen Ausführung und beinhaltet 92 Aquarell-Illustrationen auf 79 Seiten. Damit ist ein schönes Geschenk für Fachpublikum mit bibliophilem Interesse. Zur Komplettierung einer dendrologischen Bibliothek, für Baumpflegerinnen, Baumkontrolleure und alle anderen an der Materie Interessierten.

CODIT – Abschottung von Fäule in Bäumen. Von Alex L. Shigo & Harold G. Marx. Gebunden, 15 x 23 cm, 79 Seiten, mit 92 farbigen Aquarellen, Subtilia-Verlag, Kenzingen, 2021, Preis 20,33 €; ISBN 978-3-9823388-0-4.
CODIT – Compartimentalization of decay in trees. Über die Abschottung von Fäulen in Bäumen.