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– von Stefanie Weigelmeier.
Das „neue“ Buch von Dave Goulson ist so neu nun nicht mehr. Warum haben wir hier auf naturgebloggt mit der „Tradition“ gebrochen und schreiben erst so spät darüber? Mich persönlich hat zunächst der Titel abgeschreckt. Die Assoziation zu Rachel Carson’s Silent Spring (1962) lag zu sehr auf der Hand und ich wollte nicht auch noch von Dave Goulson darüber lesen (müssen, um dann hier darüber schreiben zu können), dass wir Zeugen des größten Aussterbeereignisses auf Erden seit Ende des Perm (vor 252 Mio. Jahren) sind.
Von daher – warum nicht ein Buch von Dave Goulson skippen?
Oder „Und sie fliegt doch“ nochmal lesen?
Losfliegen in Hummelwelten, privat einfach abtauchen von der bitteren Realität die mir im beruflichen Naturschutz 24/7 vor Augen ist und das Herz eng macht?
Ja, warum nicht ein bisschen Eskapismus betreiben?
Weil’s nicht geht, weil’s wichtig ist.
(Und dann auch, weil Dave Goulson am 03.November 2022 beim Göttinger Literaturherbst zu Gast war und ich mir das nicht entgehen lassen durfte/wollte/sollte. Also habe ich mir das Buch besorgt und es mit einer ziemlichen Geschwindigkeit durchgearbeitet. Und es entwickelte sich….)
We have human rights – why don’t we have insect rights?
Dave Goulson, 03.11.2022, Göttinger Literaturherbst
Zugegeben, die ersten drei Kapitel sind keine leichte Kost. Goulson schildert, warum Insekten wichtig sind, erläutert das Insektensterben und ordnet es in einen größeren Zeitbezug ein. Das dritte Kapitel widmet er den Ursachen des Insektensterbens.
Für viele unserer Leser:innen hier ist sicherlich vieles weder neu noch überraschend.
Dave Goulson gelingt es jedoch ein ums andere Mal die Informationen und Zusammenhänge von Landwirtschaft und Agrochemie transparent und verständlich darzustellen, einzuordnen und mit den Erkenntnissen aus der Wissenschaft zu verquicken. Das geschieht verständlich, fundiert und eindrücklich. Das Buch enthält außerdem ein umfangreiches Literaturverzeichnis.
How do we feed the world without destroying the environment?
Dave Goulson, 03.11.2022, Göttinger Literaturherbst
Jedes Kapitel endet mit einem Funfact. Das finde ich nicht nur einen klugen, stilistischen Schachzug, der insb. bei den ersten Kapiteln wieder die Moral hebt, sondern begeistert und interessiert gleichermaßen für die Welt der Insekten.
Dave Goulson wählt seine Worte mit Bedacht, die Übersetzerin der deutschen Ausgabe Sabine Hübner hat das fein aufgegriffen. Nur ein Beispiel: „Es heißt manchmal, der Mensch befinde sich im Krieg mit der Natur, aber das Wort „Krieg“ würde ja einen wechselseitigen Konflikt bedeuten. Unser chemischer Angriff auf die Natur jedoch ähnelt eher einem Genozid, der immer mehr Tier- und Pflanzenarten vernichtet.“
Ein für mich zentrales Kapitel ist überschrieben mit „Worauf steuern wir zu?“. Ohne zu viel zu verraten schreibt er hier aus der Sicht seines Sohnes, wenn dieser etwa 80 Jahre alt ist und bedient damit das Genre der Climate Fiction (bisher seit etwa einer Dekade eher im anglophonen Raum vertreten; bei uns annähernd im Nature Writing zu verorten). Gegen Ende dieses glorreichen 21. Jahrhunderts sitzt also dieser 80jährige Mann nachts in seinem Garten, erinnert sich an seinen Vater und resümiert seine eigene Vergangenheit. Er gibt einen kurzen geschichtlichen Abriss der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und – er macht sich Gedanken darüber, wie seine Enkelin aufwachsen wird.
Damit ist er ganz nah an uns dran. Was dieser Mensch in 80 Jahren erzählen mag, ist unsere unmittelbare Zukunft. Jetzt. Und die Frage, die sich dann stellt: was kann ich jetzt tun, um die Zukunft zu beeinflussen. Das macht handlungsfähig. Dave Goulson beendet das Buch zukunftsweisend mit einem Kapitel, in welchem er an die Eigeninitiative appelliert, Möglichkeiten aufzeigt, die jeder und jedem offenstehen.
Seine Begeisterung für Insekten ist ansteckend und sein Enthusiasmus, durch sein Wirken etwas in der Zukunft zum Positiven zu drehen, scheint mir ungebrochen. Das strahlt er auch aus. Dafür Chapeau und Danke!
Stumme Erde. Warum wir die Insekten retten müssen. Von Dave Goulson. In Deutsch übersetzt von Sabine Hübner. Gebunden, 366 Seiten, s/w-Grafiken, Hanser-Verlag, 2022, 25,- €; ISBN 978-3-446-27267-5.
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