Thomas Engst

Viele Länder setzen auf Aufforstung als Klimaschutzmaßnahme: Europa, die USA und China, das sogar Rekorde brechen will. Die Regierungen verfolgen immer ambitioniertere Ziele in Milliardenhöhe. Drei Milliarden neue Bäume sollen in der EU wachsen, zehn Milliarden in den USA, 70 Milliarden in China. Dazu unterstützen sie zahlreiche Projekte im Ausland, vor allem in Afrika. Kenia hat zum Beispiel einen eigenen Feiertag für das Baumpflanzen eingeführt, um sein Ziel von 15 Milliarden neuen Bäumen in den nächsten Jahren zu erreichen. Das Geld dafür stammt aus üppigen Fonds, in die die Industriestaaten einzahlen.

Der Reformator Martin Luther – der selbst am Ende der Welt noch einen Apfelbaum pflanzen wollte – wäre begeistert. Doch nun kommt eine alarmierende Studie von Wissenschaftlerinnen zu Wort. »Anstatt Klima und Natur zu schützen, werden wertvollste Ökosysteme im großen Stil zerstört«, sagt Studienleiterin Kate Parr von der University of Liverpool.

Es ist nicht das erste Mal, dass Aufforstungen ökologisch in Frage gestellt werden. Die aktuelle Studie zeigt aber erstmals das Ausmaß des Problems. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten dazu eines der bekanntesten Programme zur Wiederaufforstung und Renaturierung in Afrika: die Initiative African Forest Landscape Restoration (AFR100). Sie wurde vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ) zusammen mit der Entwicklungsagentur der Afrikanischen Union und der US-Umweltorganisation World Resources Institute (WRI) ins Leben gerufen und auf der historischen Pariser Weltklimakonferenz 2015 gestartet.

volunteers planting trees
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Die Industriestaaten müssten ihre Milliardenprogramme transparenter und fachkundiger gestalten, wenn sie nicht den Verdacht des Greenwashings auf sich ziehen wollten, schreibt das internationale Team von Forscherinnen nun in der Fachzeitschrift »Science«. AFR100 hat das Ziel, 100 Millionen Hektar ökologisch geschädigtes Land durch Anpflanzungen, natürliche Verjüngung und andere Formen der Renaturierung »wiederherzustellen«. Das Programm stößt auf große Resonanz. Mehr als 30 Länder haben sich beteiligt, inzwischen liegt die angestrebte Fläche sogar bei über 130 Millionen Hektar. Das eigentliche Ziel einer ökologischen Sanierung aber verfehlt die Initiative nach dem Urteil der Wissenschaftlerinnen deutlich.

Um an die Finanzmittel zu kommen, meldeten der Untersuchung zufolge mehr als die Hälfte der Teilnehmerländer mehr Fläche zur »Wieder«-Aufforstung an, als sie überhaupt Wald haben. Die Folge: Bäume würden massenhaft in Lebensräume gepflanzt, die dafür nicht geeignet sind. Mehr als jede zweite Baumpflanzaktion des Programms findet demnach in ungeeigneten Savannen und Grassteppen statt, mit der Gefahr, dass wertvolle Lebensräume für Afrikas berühmten Wildtierbestand zerstört werden. Auch die Lebensgrundlage der einheimischen Menschen ist durch die falsche Wiederaufforstung gefährdet.

Dies betrifft nach Berechnung des Teams 70 Millionen Hektar – eine Fläche fast so groß wie Frankreich. Zudem würde fast 60 Prozent mit nicht einheimischen Baumarten aufgeforstet, darunter für die Ökosysteme sehr schädlichen Arten wie einer aus Australien stammenden Akazienart oder Eukalyptusbäumen, die den Wasserhaushalt beeinträchtigen.

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»Wir ahnten, dass viel schiefgeht, aber wir waren schockiert, wie groß das Problem ist«, sagt die leitende Autorin Parr. »Das ist eine riesige – erschreckende – Herausforderung.« Das Konzept des natürlichen Klimaschutzes, das den Programmen zugrunde liegt, ist wissenschaftlich fundiert. Viele würden sagen: sogar unverzichtbar, wenn man noch die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen will. Das Konzept beinhaltet, diejenigen Ökosysteme zu schützen oder zu renaturieren, die viel Kohlenstoff aus der Luft binden und speichern und zugleich Hotspots der Artenvielfalt sind. Auch Parr befürwortet den naturbasierten Klimaschutz. »Die Wiederherstellung von Ökosystemen ist notwendig und wichtig, aber sie muss auf eine Weise geschehen, die für jedes System angemessen ist.«

Parr hat dies für die empfindlichen Steppenökosysteme Afrikas erforscht und dabei gelernt, wie schädlich Bäume am falschen Ort sein können. Ein Beispiel: Je mehr Bäume es gibt, desto weniger Wasser fließt in die Flüsse, was den Wasserzyklus in der Landschaft beeinträchtigt. Ein anderes: Viele Bäume spenden viel Schatten. Lichtliebende Pflanzen können unter solchen Bedingungen nicht gedeihen, und wenn sie verschwinden, nehmen sie die Insekten, Vögel und andere Bewohner mit. Vor allem die für die Savannen Afrikas typischen Arten leiden unter der Aufforstung – darunter Gnus, Löwen und Nashörner, sagt Parr. »Aus irgendeinem Grund lieben alle Menschen Wälder. Ökosysteme, die nur wenige Bäume haben, werden einfach nicht im gleichen Maße geschätzt«, sagt die Forscherin. »Aber Bäume sind keine Wundermittel.«

Parr sieht einen Mix aus Gründen für das Problem der massenhaften Fehlpflanzungen. So seien die Projekte mit riesigen Geldsummen ausgestattet, die gerade in armen Ländern starke Anreize schufen, an Programmen auch dann teilzunehmen, wenn die passenden Flächen gar nicht vorhanden seien. »Es herrscht eine Wildwestmentalität bei der Aufforstung.« Eine Vielzahl kleiner und kleinster Organisationen sei quasi aus dem Nichts entstanden, um von den Geldern zu profitieren. Hinzu komme ein mangelndes ökologisches Verständnis für die Besonderheiten der afrikanischen Offenland-Ökosysteme bis in die Regierungen hinein. »Es sind nicht immer böse Absichten – es geht manchmal auch darum, Arbeitsplätze für Menschen zu schaffen oder auch, etwas für den Klimaschutz zu tun.« Das größte Problem sieht die Wissenschaftlerin aber in der Definition dessen, was eigentlich ein Wald ist. Die gängige Definition der Welternährungsorganisation FAO erlaubt es, Gebiete selbst dann noch als Wald einzustufen, wenn die Bäume mit ihren Kronen gerade einmal zehn Prozent der Fläche abdecken. Damit fallen auch Lebensraumtypen wie Savannen und Grassteppen in die Kategorie »Wald«. »Salopp gesagt würde jede deutsche Kleingartenanlage dieses Kriterium erfüllen«, sagt Manfred Finckh, von der Arbeitsgruppe Ökologische Modellierung der Universität Hamburg, dem Science Media Center. Finckh war nicht an Parrs Studie beteiligt.

Die Autorinnen der »Science«-Veröffentlichung fordern nun die Organisatoren der Pflanzaktionen und ihre Geldgeber auf, ein Moratorium zu verhängen. »Wir brauchen eine Pause, um das System zu überprüfen, die Maßnahmen gründlich zu evaluieren und anschließend alle Mittel in solche Projekte zu stecken, die sinnvoll für Klima und Natur sind.« Große Flächen seien schon geschädigt, aber es sei nicht zu spät. Allerdings dränge die Zeit. »Die Zerstörungen passieren in diesem Moment, und sie gehen überall in Afrika schnell voran.«

Deutschland ist wichtiger Geldgeber für AFR100
Die Studie birgt auch politischen Zündstoff. Die Bundesregierung ist einer der wichtigsten Geldgeber für Initiativen des natürlichen Klimaschutzes weltweit (Quelle: Spektrum.de)