Thomas Engst

Im heutigen Artportrait steht eine Pflanze, die zu den wohl auffälligsten der heimischen Flora gehört. Der Rote Fingerhut wächst meist als zweijährige, krautige Pflanze. Im ersten Jahr bildet sie eine Grundblattrosette, aus der im Folgejahr eine bis zu 200 cm hoher, meist unverzweigter, beblätterter Stängel austreibt. Diese Halbrosettenpflanze treibt seltener auch in weiteren Jahren aus den basalen Achselknospen wieder aus. Die grundständigen, bis 20 cm langen Laubblätter sind lang gestielt und besitzen einen keilig verschmälerten Spreitengrund, die oberen sind ungestielt. Die Blattstellung ist spiralig, die eiförmige Blattspreite ist beidseitig, unterseits grau-weiß, behaart und der Blattrand ist kerbig gesägt.

Eine Besonderheit bietet die Pflanze in ökologischer Hinsicht, so sind die traubigen Blütenstände durch Orientierung zum Licht hin einseitswendig (positiv phototrop). Steht der Fingerhut in der vollen Sonne, weisen seine Blüten nach Süden. Die Einzelblüten sind schräg abwärts gerichtet. Es handelt sich um „Rachenblumen“ mit der Innenwand dicht anliegenden Staubbeuteln und Narben. Der Eingang in die Blüten wird kleineren Insekten durch senkrecht hochstehende Sperrhaare verwehrt; gewöhnlich können nur Hummeln eindringen („Einkriechblume“). Ihnen dient der vorstehende untere Teil der Blütenglocke als Landeplattform. Wenn das Insekt zum Nektar vordringt, streift es die Staubgefäße mit dem Rücken, der dabei mit Pollen beladen werden kann.

Die Blüten sind vormännlich; sie erblühen am Blütenstand von unten nach oben. Wenn die unteren sich im weiblichen Stadium befinden, sind die oberen erst im männlichen Stadium. Da der Anflug von Blütenständen durch Hummeln immer von unten nach oben erfolgt, wird Fremdbestäubung sichergestellt. Die dunklen und hell umrandeten Flecken der Blüteninnenseite wurden früher als Saftmale gedeutet. Inzwischen konnte gezeigt werden, dass die Blüten bei Abdeckung der Flecken nur fünf Mal seltener angeflogen werden; man deutet die Flecken daher heute als Staubbeutel-Attrappen. Für den Menschen hat der Rote Fingerhut in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt. So wird D. purprurea seit dem 19. Jahrhundert in der Medizin gegen Herzschwäche verwendet.

Anzutreffen ist der Rote Fingerhut in Westeuropa sowie dem westlichen Süd-, Mittel- und Nordeuropa und in Marokko. In Nord- und Südamerika ist er gebietsweise eingeschleppt. In Deutschland hat er sein natürliches Verbreitungsgebiet bis zum Harz und dem Thüringer Wald, tritt aber verwildert heute im ganzen Land auf.

Man findet den Roten Fingerhut zerstreut aber gesellig auf Kahlschlägen, vor allem des Gebirges, an Waldwegen und in Waldverlichtungen. Er bevorzugt frischen, kalkarmen, sauren, lockeren, humusreichen Boden an sonnigen bis halbschattigen Standorten.

Digitalis purpurea.