Thomas Engst

Allzu oft nehmen wir die Wiesen, Brachflächen und das Summen am Wegesrand kaum noch wahr. Dies liegt nicht nur an unserer geteilten Aufmerksamkeit, sondern auch daran, dass der Mensch die Natur in den meisten Weltregionen stark verändert hat. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig und alarmierend: Wir erleben das wahrscheinlich größte Artensterben seit Beginn der Menschheit.

Laut der Europäischen Kommission befinden sich 80 Prozent der natürlichen Lebensräume in der EU in schlechtem Zustand. Daher wurde das “EU Restoration Law” – auf Deutsch Renaturierungsgesetz – entwickelt. Dieses Gesetz verlangt von den Mitgliedsländern, bis 2030 mindestens 30 Prozent dieser bedrohten Flächen wieder in einen biodiverseren Zustand zu versetzen. Bis 2040 sollen zwei Drittel und bis 2050 90 Prozent der betroffenen Naturräume wieder zu besseren Lebensräumen werden.

Im Februar 2024 stimmte auch das Europäische Parlament zu, und am 17. Juni einigten sich die Umweltminister der EU-Staaten nach über zwei Jahren Verhandlung. In Österreich führte das Ja von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zu einer Regierungskrise, wie der STANDARD berichtete. Es ist das weltweit erste Gesetz, das darauf abzielt, ökologische Schäden nachträglich zu beheben, und ein zentraler Bestandteil des europäischen Green Deal. Jetzt beginnt die Umsetzung.

Klassifikation mit Satellitenbildern


“Solche Gesetze müssen quantifiziert und überwacht werden. Bisher fuhren Forschende und Prüfer direkt zu den jeweiligen Wäldern, Mooren oder Wiesen. Das ist jedoch mühsam und zeitaufwendig”, sagt Manuela Hirschmugl vom Joanneum Research und der Uni Graz. Ein österreichisches Forschungsteam, bestehend aus Vertreterinnen von Joanneum Research, der Universität Graz, dem Institut E.C.O. und dem Umweltbundesamt, entwickelt daher ein satellitengestütztes Monitoringsystem namens RestorEO. Das Projekt wird vom Klimaschutzministerium über das Weltraumprogramm ASAP der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gefördert.

Das System funktioniert so: Modernste Fernerkundungstechnologien machen mithilfe von Satelliten alle fünf Tage ein Bild einer Wiese. Eine Software bearbeitet das Bild und ordnet es mithilfe sogenannter Spektralsignale – der Farbzusammensetzung – in ein Schema ein. Über das Jahr hinweg können die Forschenden zum Beispiel erkennen, ob es sich um eine reine Löwenzahnwiese oder einen artenreicheren Wiesentyp handelt und wann die Wiese gemäht wurde.

Neue Technologie ermöglicht Monitoring


Neu ist die automatische Verknüpfung der Satellitenbilder in einem Machine-Learning-Modell mit Vor-Ort-Erkundungen sowie die Möglichkeit, überhaupt in so kurzen Abständen an hochauflösende Satellitenbilder zu gelangen. Aus einer Reihe solcher Bilder können Unterschiede in den Wiesen festgestellt und dadurch tausende Flächen klassifiziert werden. So werden auch Maßnahmen wie selteneres Mähen kontrolliert und ideale Mähzeitpunkte abgeleitet. Es lässt sich außerdem erkennen, wie sich die Biodiversität entwickelt.

Zusätzlich können Daten aus Lasersensoren verwendet werden. Fliegt man mit einem Flugzeug oder Drohnen über einen Wald oder ein Moor, erfassen Lasersensoren Höheninformationen. Diese messen die Zeit, bis der Laserstrahl die Vegetation durchdringt, und auf wie vielen Ebenen das Signal reflektiert wird. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Ausstattung der vertikalen Waldzonen ziehen.

Biodiversität wirkt vielschichtig


Beim Stichwort “Biodiversität” denken viele Menschen zuerst an Bienen. Diese Insekten sind für einen Großteil der Bestäubung verantwortlich. Fällt diese aus, gibt es praktisch keine Früchte oder Nüsse mehr. Aber auch Fliegen, Motten und Schmetterlinge sind für blühende Pflanzen, einschließlich einiger Nutzpflanzen, genauso wichtig wie Bienen.

Fliegen, Käfer und Wespen sind Bestäuber, Raubtiere und Zersetzer, die Schädlinge bekämpfen und biologische Abfälle zersetzen. Insekten sind die Basis unzähliger Nahrungsketten, die gesamte Ökosysteme stützen: Sie liefern Nahrung für Vögel, Fledermäuse, einige Säugetiere, Fische, Reptilien und Amphibien.

Lichtblicke und Fortschritte


In Österreich bieten die Wiesen und Felder Lebensraum für rund 40.000 heimische Insektenarten, darunter etwa 700 Wildbienen-Arten. Moderne Landwirtschaft, Düngemittel, Insektenschutzmittel, Feinstaubbelastung und der Rückgang von Lebensräumen bedrohen diese Tiere und unser gesamtes Nahrungsmittelsystem.

Dieser Prozess lässt sich – zumindest teilweise – aufhalten. “Durch Regulierung und technische Lösungen im Bereich Schadstoffausstoß hat sich die Luftqualität bereits verbessert”, sagt Hirschmugl. Außerdem gibt es mehr Schutzgebiete, und Greifvogelpopulationen haben sich erholt. Es besteht auch ein größeres Bewusstsein für Biodiversität als noch vor wenigen Jahren. Hirschmugl betont, man solle “mit Augenmaß” arbeiten, mit den Landwirtinnen und Landwirten “gemeinsame Wege gehen” und an einem Strang ziehen (Quelle: der Standard).