Thomas Engst

Inwiefern könnte die Welt von morgen geprägt sein, wenn Flüsse, Berge oder Wälder den Status von Rechtspersonen erhalten würden? Globale Initiativen in diese Richtung sind bereits im Aufschwung. Doch stellt sich die Frage, ob die Zuerkennung von Rechten an die Natur eine Option für Europa und den deutschsprachigen Raum darstellt, um sie vor schädlichen wirtschaftlichen Interessen zu schützen. Diesen brandaktuellen Fragen widmet sich das neueste Werk von Matthias Kramm und seinem Team von Autorinnen und Autoren. Das 112 Seiten dicke Buch, welches mir als Rezensionsexemplar seitens Verlag überlassen wurde, ähnelt zwar mit seinem Softcover eher einer dicken Broschüre macht aber inhaltlich eine gute Figur. Äußerlich neigt der Einband zu Knicken und Kratzern. Hier wäre ein Hardcover (bei anderen Publikationen bereits ab 100 Seiten standardmäßig) besser gewesen. Aber es zählen ja bekanntlich die inneren Werte. Und zu denen komme ich jetzt.

Worum geht es?

Die visionäre Idee, der Natur Rechte zuzuerkennen, wurde erstmals 1972 vom Rechtsprofessor Christopher Stone vorgestellt. Zunächst belächelt, hat sich diese Vorstellung weltweit zunehmend durchgesetzt, insbesondere durch die Forderungen indigener Völker nach Rechten für die Mutter Natur. Seit ihrer Einführung in die ecuadorianische Verfassung im Jahr 2008 wurden Rechte der Natur auch in Ländern wie Bolivien, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Neuseeland und den USA anerkannt, zuletzt in Spanien zum Schutz einer Salzwasserlagune.

Im frisch erschienenen Buch “Rechte für Flüsse, Berge und Wälder – Eine neue Perspektive für den Naturschutz?” (Erstveröffentlichung am 02.11.2023 im oekom-Verlag) zeigt Herausgeber Matthias Kramm, wie die Idee der Naturrechte entstanden ist und allmählich an Fahrt gewonnen hat. Namhafte Autoren aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nehmen die Leser mit auf eine Reise durch verschiedene Länder und Kontinente, darunter Ecuador, Bolivien und Neuseeland, die gewissermaßen Vorreiter in Bezug auf die Rechte der Natur geworden sind. So erhielt beispielsweise der Whanganui-Fluss in Neuseeland als einer der ersten Flüsse den Status einer Rechtsperson, nachdem die Maori jahrzehntelang gegen die ökologische Belastung des Flusses gekämpft hatten.

Natur als Rechtsperson?

Doch stellt sich die Frage, ob auch Flüsse und Wälder in Mitteleuropa potenzielle Kandidaten für ein solches Rechtskonstrukt wären. Oder handelt es sich bei der Vorstellung, der Natur Rechte zu verleihen, ohnehin nur um eine abwegige Idee? Das Buch behandelt diese Frage anschaulich und verständlich, gespickt mit zahlreichen Beispielen und Schauplätzen. Es diskutiert, inwiefern die Zuerkennung von Rechten an die Natur tatsächlich dazu beitragen kann, gefährdete Ökosysteme zu schützen, und beleuchtet die Schritte, die wir in Zukunft unternehmen müssen, um die Natur zu bewahren und zu verteidigen.

Wer steckt dahinter?

Der Autor bzw. Herausgeber glänzt durchweg mit seiner Expertise. So ist er zum Beispiel politischer Philosoph und erforscht die Rechte der Natur in Mexiko an der Universidad Nacional Autónoma de México und an der Universität Wageningen in den Niederlanden. Dabei befasst er sich auch mit der Frage, inwiefern westliche Rechtskonzepte mit indigenen Philosophien vereinbar sind.

Fazit

Wer sich für den Umgang mit der Natur interessiert (und das sollten wir alle!), der findet in diesem Buch einen durchaus kontroversen Gedankengang, über den sich länger nachzudenken lohnt. Nach der Lektüre hatte ich für einige Abende Gefallen daran, den im Buch gehandelten Grundgedanken weiterzuspinnen und konsequent weiterzudenken.