Stefanie Weigelmeier

von Stefanie Weigelmeier. –

Im Dezember 2021 wurde nach mehrmaliger Ankündigung der lang erwartete FLL-Fachbericht Artenschutz veröffentlicht. Damit halten wir das Ergebnis eines fast 10-jährigen Abstimmungsprozesses in Händen, von dem, gemessen an den anderen Publikationen der FLL im Themenkomplex Baum, einiges erwartet wird.

Der Fachbericht startet mit einigen in das Thema einführenden Seiten sowie einem ausführlichen Glossar zur Klärung der später verwendeten Fachbegriffe.
Dann geht es auch schon ins Eingemachte mit einem Kapitel über die rechtlichen Rahmenbedingungen. Hier sind im weitesten Sinne die §§ 39 und 44 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zitiert. In einer Tabelle werden Beispiele für besonders geschützte Arten genannt.
Die „gärtnerisch genutzte Grundfläche“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und regelmäßig Gegenstand von Diskussionen, eine tiefere Einordnung umschifft der Fachbericht elegant.

„In der Praxis bedeutet dies, dass Habitatstrukturen selbst dann geschützt sein können, wenn sie gerade nicht genutzt werden.“

Sprachlich bleibt der Text stark im „Juristen-Sprech“ und ist damit stellenweise schwer verständlich. Vieles bleibt nebulös und manche wichtigen Aussagen hätten es verdient, fett gedruckt zu werden, z.B.: „In der Praxis bedeutet dies, dass Habitatstrukturen selbst dann geschützt sein können, wenn sie gerade nicht genutzt werden.“.
Um den juristischen Teil abzurunden sollte bei einer Neuauflage noch das Umweltschadensgesetz (USchadG) hinzugefügt werden. Dieses Gesetz regelt die korrekte Vorgehensweise, die nötig ist, wenn Artenschutzkonflikte im beruflichen Kontext entstehen.

Die ZTV-Baumpflege kümmern sich um die praktische, fachlich korrekte Umsetzung. Schonende Form- und Pflegeschnitte nach ZTV dienen dazu einen Baum stand- und bruchsicher zu erhalten. Die ZTV erläutern auch weitere Maßnahmen zum Baumerhalt (z.B. Kronensicherungen).

Artenschutz vs. Verkehrssicherheit? Ein aus meiner Sicht entscheidender Punkt ist, dass Verkehrssicherungspflicht und Artenschutz keine „Gegenspieler“ sind. Wenn an einem Baum beide Belange vorhanden sind, müssen wir mit der Maßnahme und dem entsprechenden Sachverstand abwägen. Selten ist dann die Fällung das einzige Mittel der Wahl.
Ich rate dabei gerne, den Artenschutz wie einen Neuwagen zu behandeln und entsprechend eine Fachwerkstatt einem Hinterhofschrauber vorzuziehen.

Das folgende Kapitel ist den Artengruppen und Lebensraumstrukturen gewidmet. Hier finden sich viele relevante Baumbewohnern mit kurzem Text und vielen Fotos. Moose und Flechten werden zumindest anstandshalber erwähnt. Der Fachbericht ist jedoch freilich kein Bestimmungsbuch und ersetzt nicht das Fachwissen von Spezialist:innen.
Im Abschnitt über die Lebensraumstrukturen werden genannt: Baumnester, Totholz, Baumhöhlen, Rindenquartier, Riss/Spalte, Aus- und Abbruchstellen sowie baumfremder Bewuchs.
Bei den Baumnestern wird von Nestern und Horsten geschrieben, aber konkrete Unterscheidungsmerkmale fehlen. In Anbetracht dessen, dass es sich bei einem Horst jedoch um eine ganzjährig geschützte Lebensstätte handelt, ist ein nicht kleiner aber feiner Unterschied.
Falsch ist die Aussage, dass für künstliche Nester das Verbot der Beschädigung bzw. Zerstörung nicht gelte. Künstliche Nester, also Nistkästen für Vögel oder Fledermauskästen werden meistens als Auflage aufgehängt (CEF- oder Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme) und sind damit Bestandteil z.B. der Baugenehmigung. Damit müssen die künstlichen Behausungen „für immer“ vorhanden und nutzbar sein. (Am Rande sei hier bemerkt, dass die Kästen natürlich auch gepflegt, also regelmäßig geleert und ggf. repariert werden müssen.)
Ungeachtet dessen sind das die inhaltsstärksten Seiten des Fachberichtes, die den Leser:innen einen guten Überblick über die möglichen Habitatstrukturen am Baum gibt und erläutert, warum es nötig ist, sie zu erhalten.

Der Fachbericht endet mit einer dreiseitigen Checkliste. Sie zählt auf, was vor und während einer Maßnahme zu erledigen oder zu berücksichtigen ist. Die Checkliste ist durchaus brauchbar und gut geeignet für den praktischen Einsatz. Sie listet stichpunktartig die wichtigsten, am Baum erkennbaren Merkmale auf. Sie macht die Zuständigkeiten klar: was kann/muss die Baumkontrolle liefern, ab wann sind Spezialist:innen hinzuzuziehen, was fällt ins Aufgabengebiet der Baumpflege und wo sind Baumeigentümer:innen oder Behörden am Zuge.

Nun vom Inhalt zur Form. Der Fachbericht kommt im üblichen DIN A4-Format daher, gedruckt auf 100% Recycling-Papier.
Etwa 16 der knapp 60 Seiten sind zusammengenommen mit Farbfotos gefüllt. Alle Fotos haben etwa die Größe einer Visitenkarte. Neben der geringen Größe sind manche Bilder auch recht dunkel. Das mag zum einen dem Motiv geschuldet sein (eine Rindenspalte in einer belaubten Baumkrone ist nicht besonders gut sichtbar oder photogen darstellbar), zum anderen aber auch an Papier und Layout.
Interessierte können bei diesem Aspekt auf den Taschenführer zurückgreifen, den schweizer Kolleg:innen an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL bereits 2020 veröffentlicht haben. Er portraitiert 47 Habitatstrukturen mit abstrahierter Skizze und guten Foto, enthält einen pragmatischen Farbcode, nennt außerdem die zu erwartenden Organismengruppen und exemplarisch eine Einschätzung zur Entstehungsgeschwindigkeit der Habitatstruktur. Der Taschenführer ist frei im Netz: www.wsl.ch/bmh-taschenfuehrer .

Punktabzug für den Einband des Fachberichts Artenschutz: er ist weder folienkaschiert noch besonders stabil und wird damit im Außeneinsatz nicht lange halten. Für draußen fände ich ein kleineres, praxisgerechtes Format, wie etwa das für die ZTV-Baumpflege verwendete DIN A5 angenehmer. Von daher mag es im Zweifelsfall sinnvoll sein, die PDF-Ausgabe oder das Kombipaket zu kaufen, so lässt sich der Ausdruck beliebig erneuern.

Laut FLL soll die vorliegende Broschüre „der Information von Auftraggebern, Planern, ausführenden Unternehmen des Garten-, Landschafts- und Sportplatzbaus, Baumpflegern, Baumkontrolleuren, Sachverständigen sowie Naturschutzbehörden und sonstigen politisch oder fachlich Verantwortlichen dienen und kann als Ratgeber und Anleitung zum Handeln genutzt werden.“.
Ich bezweifle jedoch, dass der Fachbericht in der aktuellen Form den Status erreichen kann, den die ZTV-Baumpflege zurecht innehat. Dazu lässt der Fachbericht Artenschutz inhaltlich zu viele Fragen offen, ist an entscheidenden Stellen unscharf geblieben und schafft damit nicht unbedingt mehr Klarheit für die Beteiligten am Baum.
Ich sehe in dem Fachbericht einen weiteren Baustein, der zum Verständnis für den Artenschutz und seine Notwendigkeit beitragen und als Ergänzung der bestehenden Literatur dienen kann. Je nach Einsatzzweck und Fragestellung erweitern dies andere Werke oder Fortbildungen.

Fachbericht Artenschutz. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL). Broschüre im DIN A4-Format, 62 Seiten, 91 Farbfotos. ISBN 978-3-940122-23-0. 27,50€.