Stefanie Weigelmeier

von Stefanie Weigelmeier. –

Das Höhlentier des Jahres 2021 ist Quedius mesomelinus, der Höhlen-Raubkäfer. Wie der deutsche Name schon vermuten lässt, ernährt sich der Kurzflügelkäfer (Staphylinidae) räuberisch und zwar von anderen Wirbellosen der Streulaubschicht. Der Höhlen-Raubkäfer hat einen starken Bezug zu unterirdischen Lebensräumen wie (Natur-)Höhlen, ist aber auch in Stollen oder Kellern, also in der Nähe von Menschen zu finden. Die Art ist in Europa weit verbreitet und überall häufig. Durch ihre ausgeprägte Kältetoleranz hat sie sich Lebensräume erobert, die für andere Arten jenseits des Optimums liegen.
Das Höhlentier des Jahres und auch die der vorhergehenden 13 Jahre finden sich auf www.hoehlentier.de

Auf internationaler Ebene hat die Union Internationale de Spéléologie das Jahr für Höhlen und Karst mit dem Motto „erforschen, verstehen und bewahren“ ausgerufen

Auf der Homepage finden sich neben interessanten Informationen über Höhlenausstattung, Archäologie oder Hydrologie auch Hinweise auf international stattfindende Veranstaltungen, die praktischerweise ganz bequem von zuhause aus besucht werden können.

Mehr über den Höhlen-Raubkäfer und die 747 anderen Höhlentierarten, die dauerhaft in Höhlen leben oder diese für bestimmte Zeiten gezielt aufsuchen steht in dem Buch „Die Höhlentiere Deutschlands“:

 

Karstformationen schützen!

Wann passender als in diesem Jahr könnten lokale Karstphänomene besser gewürdigt werden? Eine im deutschen Naturschutzrecht passende Schutzkategorie wäre hier das Naturdenkmal nach §28 BNatSchG. Jede natürliche Person oder Institution kann bei der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde Vorschläge für neu auszuweisende Naturdenkmale einreichen, die dann entsprechend geprüft und beantwortet werden müssen. Auch lohnt es möglicherweise, sich (bei derselben Behörde) über den Zustand lokaler Karstformationen zu erkundigen (Stichwort: Umwelt-Informationsgesetz UIG). Leider wurden und werden solche „Gruben“, als was uns beispielsweise Erdfälle oder Schachthöhlen erscheinen mögen, in der Vergangenheit oft als Müllgruben verwendet – „aus den Augen aus dem Sinn“. Oft sind genau solche Öffnungen im oberen Erdmantel in Karstgebieten sensible Zugänge zu Grundwasservorkommen die natürlich nicht mit reaktiven Stoffen verfüllt werden dürfen. Mit dem Sickerwasser gelangen Fremdstoffeinträge jeglicher Art, und natürlich auch Pestizide und Düngemittel nahezu ungefiltert in die Grundwasser-stauenden Schichten.

Die deutsche Gesetzgebung hatte Höhlen und unterirdischen Lebensräume lange nicht wirklich auf dem Schirm. Erst mit einer der neueren Novellierungen wurden im Herbst 2017 Höhlen und naturnahe Stollen als besonders geschützte Biotope in das BNatSchG aufgenommen.

 

Höhlenschutz gleich Fledermausschutz ?!

Ja, aber nicht nur!
In der Praxis waren und sind Schutzmaßnahmen im Kontext Höhle aller meistens auf Fledermausschutz ausgerichtet. Das sind zwar, neben Siebenschläfer und Fuchs, die flauschigsten unter den Höhlennutzern, aber bei weitem nicht die faszinierensten. Und hier setzt dieses Buch an: „finden – erkennen – bestimmen“ lautet der Untertitel. Es stellt die aktuell 748 cavernicol geltenden Arten, die bisher in deutschen Höhlen nachgewiesen worden sind vor.

 

Höhlen in drei Akten

Das Buch ist in drei wesentliche Abschnitte untergliedert: ein Einstieg in die Biospeläologie und den Lebensraum Höhle mit seinem diffizilen Nahrungskreislauf und den Lichtregionen sowie den Anpassungen der Höhlentiere daran. Die 34 Großgruppen der deutschen Höhlentiere werden ausführlich beschrieben und bieten einen schnellen Einstieg in die Bestimmung. Daran schließen sich Artsteckbriefe der wichtigsten Arten an. Jeder Artsteckbrief informiert über die Größe und Besonderheiten der Art, die Fundregion, die Verbreitung und ähnliche Arten. Für jede Art zeigt ein hilfreiches Piktogramm auf einen Blick die Lebensweise, die ökologische Einordnung und den Zeitraum in Monaten, in welchen die Art in Höhlen angetroffen werden kann.

Ein im Buch exemplarisch vorgestellter Diplura* ist der Schallsinger Höhlen-Doppelschwanz (Plusiocampa inopinata). Diese Art wurde erst 2018 beschrieben und ist für Deutschland nur aus einer Höhle im Südschwarzwald bekannt.
Auf dieselbe Weise werden aber auch häufig vorkommende oder weniger spezialisierte Arten gewürdigt. Die Bedingungen in den unterirdischen Lebensräumen sind anspruchsvoll, die Kreisläufe und Zusammenhänge vielfach noch wenig untersucht. Das Auffinden von endemischen oder reliktären Populationen lässt erahnen, dass es sich um sensible Lebensräume handelt. Für viele Arten sind es die letzten Rückzugsgebiete in Anbetracht der steigenden Temperaturen vor dem Hintergrund des Klimawandels. Hierbei spielt es auch eine Rolle, wie die einzelnen unterirdischen Lebensräume vernetzt sind und/oder wie gut die Arten wandern können.

 

Die Zackeneule (Scoliopteryx libatrix) war Höhlentier des Jahres 2010 © Klaus Bogon

Der Höhlenflohkrebs Niphargus sp.) war Höhlentier des Jahres 2009 © Klaus Bogon

Die Zackeneule (Scoliopteryx libatrix) ist ein nachtaktiver Eulenfalter, der in Deutschland in allen Höhlengebieten frostfrei überwintert. Einem Schmetterling fällt es vergleichsweise leicht, die Höhle zu wechseln.

Für den Schellenberg-Grundwasserflohkrebs (Niphargus schellenbergi) hingegen, ein nahezu transparentes, aquatisches Lebewesen ist ein Höhlenwechsel jedoch nur über das Grundwasser möglich.
Umso größeren Schaden kann ein unbedachter Stiefel in einer Pfütze also anrichten. Der Freizeitdruck auf die sensiblen unterirdischen Lebensräume steigt, Geocaching und Klettersport oder schlicht Abenteuerlust hinterlassen in den verständlicherweise faszinierenden Höhlen jedoch (leider oft) irreversiblen Schäden.

 

finden – erkennen – schützen

Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beiträgt, das Wissen um diesen einzigartigen Lebensraum zu verbreiten und dadurch ein nachhaltiges Bewusstsein und Rücksichtnahme zu schaffen.

Es ist nicht zu überlesen, dass die Autoren, Stefan Zaenker, Klaus Bogon und Dr. Alexander Weigand sich mit jahrelanger Passion der Biospeläologie, dem Leben in den Höhlen, widmen. Alle drei beschäftigen sich beruflich wie ehrenamtlich mit der Kartierung und Dokumentation der Höhlen und der Höhlenfauna.
Die brillanten Photos sind geradezu liebevoll ausgewählt. Sie dienen nicht nur der Dokumentation von Artmerkmalen oder der Abbildung einer Art. Manchmal ähneln sie auch einem Portrait, zeigen ein bestimmtes Individuum in einem intimen Moment der Photograph-Tier-Begegnung, wie einen Diplura bei der Körperpflege (mein Lieblingsbild). Das wenige Millimeter milchig-weiße Tier wurde dabei photographiert, wie es sein linkes Hinterbeinchen in einer yoga-gleichen Bewegung zum Kopf streckt, geschickt mit dem Vorderbeinchen festhält und es putzt.
(* Diplura (Doppelschwänze) sind eine evolutiv sehr alte Gruppe, deren phylogenetische Zuordnung noch nicht wirklich geklärt ist. Aktuell werden sie meistens in eine Schwesterngruppe zu den Insekten gestellt.)

 

Es ist bisher das erste Buch in deutscher Sprache, welches sich dieser Thematik umfassend widmet. Nicht nur deswegen erwarte ich und wünsche es den Autoren, dass es sich als Standardwerk etablieren wird. Die Texte sind verständlich geschrieben und eignen sich so auch wunderbar zum Einstieg in die Unterwelt. Das Buch ist für alle, die mit Höhlen bisher hauptsächlich Fledermäuse verbinden, für Biolog:innen, Entomolog:innen, Studierende, die noch ein zukünftiges Betätigungsfeld suchen (hier gibt’s noch viel zu entdecken…Forschung ist dringend notwendig!), aber auch allen Naturfreunden jenseits der Fachwelt kann dieses Buch Freude und Wissenserweiterung auf schöne Art bieten.

Das Buch ist 2020 im Quelle&Meyer-Verlag erschienen. Es umfasst 448 Seiten mit 519 farbigen und liebevoll ausgewählten Abbildungen. Hardcover. ISBN 978-3-494-01831-7. 29.95€.

 

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