Gastbeitrag

Ein Biologe, der auf Bretter starrt

Natur und Artenvielfalt begeistern viele Menschen. Es gibt so viel zu entdecken, zu beobachten, zu verstehen und zu schützen. Schon auf viele Kinder übt Biodiversität einen ganz besonderen Reiz aus: Ich jedenfalls bin als Kind umhergestreift, habe unterschiedliche Insekten, Würmer und Pflanzen gesammelt, sie von der Straße gerettet und in Naturführern ihre Eigenheiten studiert. Diese Faszination für Natur, Ökosysteme und in der Erde buddeln hat mich zum Biologiestudium gebracht (auch wenn es mich dort dann später gar nicht Richtung Ökologie verschlagen hat) und dauert bis heute an. Und eine weitere Leidenschaft aus der Kindheit habe ich mir bis heute bewahrt: Das Spielen. Als Knirps mit Spielzeug, als pickeliger Jugendlicher am Computer und als das, was auch immer ich heute bin (wohl so eine Art Erwachsener), habe ich seit einigen Jahren das Brettspielen für mich entdeckt.
Brettspiele und Biologie – früher oder später musste ich also auch auf Ecogon treffen, ein Biologiebrettspiel. Genauer gesagt: Ein Ökologiebrettspiel. Sehr gerne habe ich Thomas´ Einladung angenommen, hier einen kleinen Erfahrungsbericht dazu zu schreiben.

Das Brettspiel Ecogon macht bereits beim Auspacken einen hochwertigen Eindruck (Foto: Martin Reich).

Ecogon: Ein ganzes Ökosystem in einer Schachtel

In einem Ökosystem greift alles ineinander, hängt alles irgendwie miteinander zusammen und ist aufeinander angewiesen. So entsteht ein komplexes und faszinierendes Mosaik aus Abhängigkeiten, Nutzen und Konkurrenz. Diese Zusammenhänge bildet Ecogon von Gaiagames in Form eines Brettspiels ab.
Der Autor Michael Reimer hatte bei der Entwicklung des Spiels ein klares Ziel vor Augen: spielerisch ein Verständnis für Umwelt und eine Wertschätzung der Natur vermitteln. Ich bin ganz ehrlich. Als passionierter Brettspieler bin ich immer etwas skeptisch, wenn ein bestimmtes Thema mit einem Spiel vermittelt werden soll. Weil dann sehr oft der Anspruch an den Spielmechanismus in den Hintergrund rückt und eher Experten für das Thema, als wirkliche Brettspielprofis am Werk sind. Aber Spaß muss ein Spiel machen, sonst kann auch das Thema nicht erfolgreich vermittelt werden. Und gerade die Biologie bietet die Möglichkeit, Mechanismen der Natur mit denen eines Brettspiels zu verbinden. Ob Ecogon dies gelingt?

Die Spielanleitung ist sehr hübsch illustriert und gibt obendrein wissenswerte Infos über die im Spiel vorkommenden Tier- und Pflanzenarten (Foto: Martin Reich).

Ein rundes Konzept mit sechseckigen Teilen

Ganz klassisch will ich nun erst einmal etwas über das Material sagen: hervorragend. Aus mehreren Gründen. Zunächst einmal bekommt man gar nicht nur ein Spiel, sondern gleich noch einen kleinen Naturführer in Form von zwei Postern dazu. Auf diesen sind Tier- und Pflanzenarten beschrieben, die auch im Spiel vorkommen. Die Box, Karten und sechseckigen Legeplättchen sind stabil, fassen sich gut an und sind vor allem wunderschön illustriert. Außerdem liegt eine Tüte mit Bohnen bei. Ja richtig, Bohnen. In vier verschiedenen Farben. Dazu gleich noch mehr. Ein weiterer Grund, aus dem ich das Material so gut finde, ist die Konsequenz: Es geht bei Ecogon um Naturschutz, also ist das gesamte Material (in der außerdem sehr platzsparenden Box) kompostierbar. Auf seinem Blog schreibt Reimer über sein Spiel (das von „glücklichen Hippies“ produziert wurde), dass man es einfach auf den Kompost werfen könne, wenn man mal „keinen Bock mehr“ darauf hätte. Nun, das werde ich in absehbarer Zeit nicht tun. Aber die Idee ist spitze, denn auch die boomende Brettspielbranche sollte definitiv nachhaltiger werden. Und wie wunderbar konsequent, ein Naturspiel auch maximal umweltfreundlich zu produzieren.

Nettes Gimmick: Das Brettspiel Ecogon ist vollständig kompostierbar und ist damit Vorbild in der Brettspielindustrie (Foto: Martin Reich).

Los geht´s! (oder in Gedenken an Robin Williams: „Jumanji!“)

Mit dem Eifer eines Brettspielsüchtigen unboxe ich also Ecogon, drücke genüsslich die gestanzten Teile aus und lese mir die Regeln durch. Diese sind gut verständlich und man merkt schnell: Spielmechanismus und Thema passen zueinander. Aus den sechseckigen Plättchen, auf denen Lebensräume, Pflanzen und Tiere abgebildet sind, soll durch geschicktes Aneinanderlegen ein Ökosystem entstehen. Dabei sollen die einzelnen Komponenten möglichst perfekt zusammenpassen: Nacheinander legen die Spielerinnen jeweils ein Hexagon von ihrer Hand (bzw. ihrer Auslage. Im kooperativen Modus kann man ruhig offen spielen) an einen bereits ausliegenden, passenden Lebensraum an. Es gibt drei verschiedene Lebensräume: Wald, Waldrand und Wiese. Auf den Pflanzenarten sind verschiedene Symbole abgebildet, die für bestimmte Tierarten nützliche Eigenschaften repräsentieren. Also zum Beispiel ein Symbol für Kraut, Busch oder Baum. Oder Früchte wie Eichel oder Apfel. Oder auch ein Astloch oder eine Blüte. Die Tiere wiederum haben Bedürfnisse, die durch dieselben Symbole repräsentiert werden. Grenzt nun eine passende Pflanze an ein Tier, ist das entsprechende Bedürfnis erfüllt. Manche Tiere geben sich natürlich nicht allein mit Pflanzen zufrieden, sondern brauchen die richtige Beute. Diese erhalten sie, wenn ein Tier mit der passenden Körpergröße angrenzt. Sind alle Bedürfnisse erfüllt, gilt ein Tier als etabliert. Jetzt kommen die Bohnen ins Spiel: Eine Bohne auf einem Tier markiert, dass dieses etabliert ist und die Spieler am Spielende die aufgedruckten Punkte erhalten. So bastelt man an einem Ökosystem, das in jeder Partie anders aussehen dürfte.

Mittels sechseckigen Plättchen müsst ihr in Ecogon ein funktionierendes Ökosystem aufbauen und erhalten (Foto. Martin Reich).

Koop oder PvP

Im kooperativen Modus tut man dies alles gemeinsam. Man kann aber auch gegeneinander spielen. Das funktioniert auch ganz okay, aber nicht so gut wie kooperativ. Einfach weil man sich beim Aufbau des Ökosystems wohl oder übel gegenseitig sabotiert, um mehr Tiere als der Gegner zu etablieren. Das ist für mein Gefühl ein wenig gegen den Spirit des Spiels. Und es macht auch als Team wirklich Spaß. Denn ganz so harmonisch verläuft es in diesem Ökosystem auch ohne konkurrierende Mitspielerinnen gar nicht! Erstens ist es gar nicht so leicht, jedem Tier seine Nische zu verschaffen, und zweitens wird nach jedem dritten Zug eine Ereigniskarte aufgedeckt. Manche davon sind positiv, zum Beispiel wird ein weiterer Lebensraum aus dem Vorrat angelegt. Die meisten stellen jedoch einen störenden Einfluss auf das Ökosystem dar. Zum Beispiel ein Insektizid, das ein oder mehrere Insekten aus dem Ökosystem entfernt oder eine Rodung, bei der Bäume weichen müssen. So kann in einem mühevoll zusammengebauten Netz aus Pflanzen und etablierten Tieren ganz schnell ein Loch klaffen. Dieses kann dann mit mehr oder weniger passenden Arten wieder geschlossen werden oder bleibt bestehen. Viele der Karten repräsentieren Eingriffe des Menschen, aber es sind auch natürliche Phänomene darunter. Auch das finde ich dem Thema sehr angemessen. Natur ist schließlich nicht nur Harmonie. Schon gar nicht, wenn der Mensch eingreift.

Der Aufbau des eigenen Ökosystems ist durchaus knifflig und will gut durchdacht sein (Foto: Martin Reich).

Kleines Fazit, große Empfehlung

Wie schon gesagt: Der Spielmechanismus spiegelt bei Ecogon wunderbar das Thema wider, um das es geht, nämlich das komplexe Zusammenspiel verschiedener Arten in der Natur. Dabei kommt es nicht mit dem erhobenen Zeigefinger oder belehrend daher. Natürlich sind die tatsächlichen Mechanismen vereinfacht dargestellt, das ist bei einem Spiel ja gar nicht anders möglich. Und die Schwächen durch die Vereinfachung sind in der Spielanleitung sogar beschrieben und die Diskrepanz zur tatsächlichen Ökologie erklärt.
Man kann Ecogon mit bis zu sechs oder sogar mehr Spielerinnen spielen, aber auch allein. Die Dauer kann man durch die Anzahl der Ereigniskarten variieren, denn das Spiel endet, wenn die letzte aufgedeckt wurde (im kompetitiven Modus werden dann noch einige Runden gespielt). Hat man dann doppelt so viele Punkte durch etablierte Tiere gesammelt, wie Ereigniskarten im Spiel sind, hat man gewonnen. Wir haben zu zweit dreimal im Koop-Modus gespielt und davon einmal knapp und zweimal deutlich gewonnen. Es macht Spaß, gemeinsam zu planen und die Plättchen möglichst passend zusammenzubauen. Vor allem Naturliebhaber, kooperative Spielerunden und Brettspieleinsteiger dürften auf ihre Kosten kommen. Auch für Kinder ist Ecogon prima geeignet, da man den Schwierigkeitsgrad ganz leicht variieren kann, indem man z.B. mit einer offenen Auslage an Plättchen spielt, statt diese verdeckt zu ziehen oder gleich aus allen Teilen offen ein Ökosystem zusammenpuzzelt. Großes Lob an Micha Reimer, ein sehr gelungenes Spiel! Und ein Dank an Thomas für die Empfehlung.

Ecogon, das Naturschutz-Brettspiel, lohnt sich schon aufgrund der vielen Informationen vor dem Spielstart (Foto: Martin Reich).