Stefanie Weigelmeier

von Stefanie Weigelmeier. –

Am 13. Oktober 2021 haben Fachfirma Viva Baum GbR und der Nationalpark Kellerwald-Edersee zu einem Expert*innenaustausch ins Edertal eingeladen. Der Nationalpark ist Teil des UNESCO-Weltnaturerbes „Alte Buchenwälder Deutschlands“. Als solches stehen Ökologie und Naturschutz als oberste Entwicklungs- und Schutzziele. Dies hat auch Auswirkungen auf eine Stromtrasse, die das Nationalparkgebiet tangiert. Auf der Veranstaltung wurde Teilnehmer*innen aus den Feldern der Genehmigungsbehörden, Trassenbetreibern und Flächeneignern allgemein das Konzept des Ökologischen Trassenmanagement erläutert, Möglichkeiten der Umsetzung nahegebracht und anhand der Flächen vor Ort geeignete Technik und Vorgehensweisen vorgeführt. Diskussion und Erfahrungsaustausch standen im Vordergrund der Veranstaltung. Ziel war es, die Stakeholder zusammenzubringen, einen Austausch auf Augenhöhe anzuregen und Wissen zu vermitteln.

Ökologisches Potential unter der Stromtrasse © Bernhard Schirutschke

Die Trasse – eine Eh-da-Fläche

Unter und neben Stromleitungen muss die Trasse regelmäßig gepflegt werden, damit Gehölze nicht in den Sicherheitsbereich der Leitung hineinwachsen und Wartungsmaßnahmen ungehindert möglich sind.

Ökologisch betrachtet sind Trassen so genannte Eh-da-Flächen. Diese etwas saloppe Formulierung soll verdeutlichen, dass diese Flächen „sowieso“ vorhanden sind und zumeist ohne erkennbare wirtschaftliche Nutzung in der freien Landschaft liegen. Neben Verkehrsinseln, Regenrückhaltebecken, Bahndämmen, Hochwasserdämmen und Deichen sowie nicht näher spezifizierten wegbegleitenden Flächen oder auch kommunalen Grünflächen können dies auch Leitungstrassen sein.

Der Sinn und Zweck dieser Flächen ist zumindest in der Fachwelt klar und für die Nutzung oder Unterhaltung der Anlagen gibt es klare technische Anforderungen. Darüber hinaus ist es aber vielfach möglich, diese Eh-da-Flächen ökologisch aufzuwerten und damit einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Biodiversität zu leisten.

Ökologisches Trassenmanagement (ÖTM)

Stromtrassen erstrecken sich über lange Strecken und sind breit genug um auch für Biotopvernetzung in Frage zu kommen. Auf ihrem Weg durchqueren sie vielfältige Naturräume und Landnutzungstypen. Insbesondere in oder an Waldbeständen oder Gehölzriegeln müssen turnusgemäß Gehölze entfernt oder eingekürzt werden um den Sicherheitsabstand unter und neben den Leiterseilen einzuhalten. Passiert dies regelmäßig ist es als Pflegemaßnahme zu werten.

Eine Pflegemaßnahme muss regelmäßig und fachgerecht erfolgen. Werden die zeitlichen Abstände zu lang, kann sich ein Eingriff nach Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG, §§13 ff.) ergeben, der entsprechend kompensiert werden muss.
Auch wenn sie regelmäßig und fachgerecht durchgeführt werden, können die Pflegemaßnahmen die Tier- und Pflanzenwelt z.B. durch den Einsatz von Forstmulchern massiv beeinträchtigen und verursachen durch die Befahrung der Flächen mit den dafür notwendigen schweren Maschinen im Boden oft dauerhafte Schäden (z.B. Verdichtung der Böden). Selbst bei motormanueller Arbeit wird oftmals vor Ort gehäckselt und somit wertvoller Lebensraum einem hohen Anspruch an „sauberem Naturraum“ geopfert. Totholzhaufen sind gute Habitate für viele Klein- und Kleinstlebewesen

Das Ökologische Trassenmanagement (ÖTM) will diese Auswirkungen geringhalten und damit einen Schulterschluss zwischen den technischen Anforderungen an die Trasse und den Lebensräumen auf der Trasse herstellen sowie eine nachhaltigere und Ressourcenschonendere Alternative zu bestehenden Pflegeformen aufzeigen.

Am 13. Oktober 2021 hat die Firma Viva Baum GbR in den Nationalpark Kellerwald-Edersee eingeladen. Im Gebiet des Nationalparks führt die Firma aus Göttingen seit nunmehr vier Jahren die Trassenpflege aus. In enger Zusammenarbeit mit der Nationalparkverwaltung, dem Forst und den Flächeneigentümer*innen wurde hier auf einer Fläche von zwei Mastfeldern bzw. knapp drei Hektar etwas Neues angewandt: ökologisches Trassenmanagement.

Dieser Ansatz entspricht der Firmenphilosophie von Viva-Baum. Ein Glücksgriff für den Nationalpark, denn auf einer Schutzfläche mit UNESCO-Weltnaturerbe-Status wäre etwas anderes gar nicht denkbar gewesen. Nach den ersten vier Jahren fand nun also eine Exkursion mit Beiträgen verschiedener Expert*innen statt.

ÖTM und die Eingriffsregelung

Bei der Trassenpflege „rutscht“ man leicht in den Bereich der Eingriffsregelung nach BNatSchG. Dies zu verhindern, bzw. einen naturverträglichen und gesetzlich korrekten Umgang damit zu finden, erfordert Fachkompetenz in der Planung vorab und einen engen und offenen Austausch mit den zuständigen Genehmigungsbehörden.

ÖTM stellt daher auch eine Lösung im Sinne der Eingriffsregelung (Minimierung, § 13 ff. BNatSchG) dar. ÖTM resultiert im Idealfall in einer Flächenaufwertung, die dann wiederum in Absprache mit der zuständigen UNB als Kompensation bewertet werden kann. Genauso können Leitungsbetreiber auf diese Weise Ökokonten anlegen, die für den Ausgleich späterer Eingriffe herangezogen werden können.

Es braucht viele Leute vor Ort, die bereit sind, etwas Neues zu wagen

Carolin Röken (Regierungspräsidium Kassel)

Carolin Röken (Regierungspräsidium Kassel) erläutert, dass viele der ersten Trassen, die in den 1960er Jahren gebaut worden sind, noch immer „Wald“ im Sinne des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) sind, obwohl dort kein Wald mehr wächst und mit Bezug auf die Trassenunterhaltung auch nicht wachsen kann. Hier bedarf es einer zusätzlichen Abstimmung und Kooperation mit den Forstbehörden, wenn hier beispielsweise artenreiche Waldwiesen etabliert werden.
An anderer Stelle Ersatzwald zu pflanzen (also Aufforstung zu betreiben), ist für Leitungsbetreiber weder sinnvoll noch in der Fläche umsetzbar. „Es braucht viele Leute vor Ort, die bereit sind, etwas Neues zu wagen“; unterstreicht Röken.

Eine longitudinale Fläche kann auf kurzen Abschnitten viele kleinräumige Lebensräume beherbergen. Das ist eine große Chance im Hinblick auf Kompensation oder Ökokonto. Eine Anerkennbarkeit ist an die Aufwertbarkeit gekoppelt. Beratung leisten die zuständigen Unteren Naturschutzbehörden vor Ort. Hilfreich kann es sein, schon vor dem ersten Kontakt zumindest eine Vorstellung von einem Konzept zu haben (Entwicklungsziel, Arten oder Lebensräume, einzusetzende Technik, Pflegerhythmus, …).
In Hessen ist mit Natureg ein Register der Kompensationsflächen online für jeden einsehbar. Planung und Umsetzung kann hier unmittelbar zwischen Eingreifenden bzw. vertretendem Planungsbüro und Behörde erfolgen.

Lebensraum-Mosaik unter der Stromtrasse © Stefanie Weigelmeier

Bernd Lang (Bayernwerk Netz) nennt einige Beispiele wie sie bereits abschnittsweise in Bayern umgesetzt werden: Schneisen mit Blühwiesen, kleinteilige Gewässer für Amphibien, schonende Beweidung und eine selektive Gehölzpflege. Er strahlt, als er von den Projekten erzählt.
Gute Vorbilder gibt es also! Leitungsbetreiber müssen an der Pflege dranbleiben.

Unter der Trasse gehen Ökologie und Ökonomie perfekt zusammen. Es wäre fahrlässig das nicht zu nutzen.

Michael Wahl (Westnetz)

Heckenstreifen dürfen durchaus in den Leitungsbereich reinwachsen. Durch eine geschwungene Ausführung mit Einbuchtungen erhöht sich beispielsweise die Grenzfläche der Hecke, das Mosaik der Fläche und damit der ökologische Wert.
Die Ausführung dieser Gehölzriegel könnte, wie auch im Nationalpark angedacht, als Sonderpflegezone in Kombination mit Fahrgassen und einem Arbeitsraum von 5 m geplant werden.

„Unter der Trasse gehen Ökologie und Ökonomie perfekt zusammen. Es wäre fahrlässig das nicht zu nutzen.“, mahnte Michael Wahl (Westnetz) an. Wer hätte eine solche Aussage vor 30 Jahren von einem Leitungsbetreiber erwartet?

Für Achim Frede (Leiter der Abteilung Naturschutz, Forschung und Planung des Nationalpark Kellerwald-Edersee) stellte sich früh die Frage, welchen Grundzustand eine Trasse im Nationalpark haben sollte. Um dies zu erreichen machte er sich auf den Weg und erstellte einen langfristigen Biotop-Management-Plan. Dem Ökologen ist klar, dass eine Wiederherstellung eines Magerwiesen-Charakters langfristig geplant werden muss. Kleine Flecken mit seltenen Orchideen sind noch erhalten und die standorttypischen Gegebenheiten lassen eine Regeneration zu. Solche Flächenentwicklungen dauern, wie alle ökologischen Prozesse, und das mag unsere Geduld strapazieren. Frede fasst seine realistische Vision so zusammen: Der anfängliche Pflegeaufwand ist hoch, wird aber, je weiter die Entwicklung fortschreitet, immer weniger.

Dazu muss das Dreiecksverhältnis aus Betreiber, Flächeneigner und Behörden gepflegt werden, unterstützt durch flächenangepasste Technik und Nutzungsmanagement.

Bernd Lang (Bayernwerk Netz) ist überzeugt, dass es nur gemeinsam geht und hofft auf ein gutes Zusammenspiel von Leitungsbetreibern, Behörden, Flächeneignern und Partnerfirmen.

ÖTM im Nationalpark Kellerwald-Edersee

Im Nationalpark Kellerwald-Edersee wurde für die Trasse ein Flächennutzungsplan erstellt. Die Veranstaltung stand nun am Ende dieser 5-Jahres-Periode und das Team aus Leitungsbetreiber (Detlev Krause und Jens-Friedrich Garbe, Avacon Netz GmbH), Flächenverantwortlicher (Achim Frede für den Nationalpark) und ausführende Firma (Bernhard Schirutschke, Viva Baum GbR) konnte erste Erfahrungen präsentieren.

Mit den vorgestellten technischen Lösungen wurde eine Grundlage für eine schonende Folgepflege geschaffen. Je nachdem, wie die standörtlichen Gegebenheiten sind, könnte dies natürlich auch eine Beweidung sein. Das Thema Beweidung wurde angeregt diskutiert. Für die Fläche zwar wünschenswert, ist es aber auch in der Region Kellerwald-Edersee um die Weidetierhaltung nicht viel besser bestellt als in vielen anderen Gegenden Deutschlands.

ÖTM – Baustein im Zielkonzept

Alle Beteiligten müssen an einem Strang ziehen. Betreiber, Flächeneigner und Behörden, die die naturschutzfachliche Wertigkeit der Stromtrasse als Eh-da-Fläche erkannt haben, können mit Hilfe des ökologischen Trassenmanagements eine win-win-Situation erwirken: Trassenpflege und Naturschutz!

Dies alles firmiert unter der Überschrift Zielkonzept. Jens-Friedrich Garbe (Avacon) konstatierte „ohne Konzept geht es nicht“ und nannte den Nationalpark sicherlich einen Sonderstandort.
Und genau dieser Sonderstatus eines Nationalparks, bzw. die hohen naturschutzfachlichen Anforderungen ermöglichen diese nun schon vierjährige Testphase, den Einsatz von Schreitbagger, schonender Anbaugeräte und den Verzicht auf Forstmulcher.

Exkursion Ökologisches Trassenmanagement im Nationalpark Kellerwald-Edersee © Stefanie Weigelmeier

Aus Sicht des Nationalparks formuliert Achim Frede eine wichtige gesellschaftliche Frage: wie kann ÖTM eine Möglichkeit sein in vielen Gegenden Deutschlands etwas Positives zu bewirken?
Bedeutung und Entwicklung der Flächen unter der Leitung für den Naturhaushalt wurden erkannt und es besteht die Intention seitens der RWE, da am Ball zu bleiben.

Die ökologische Aufwertung der häufig als störend empfundenen Stromtrassen kann auch in den Augen der Bevölkerung positiv besetzt werden.

Ökologisches Trassenmanagement mit einem Schreitbagger © Bernhard Schirutschke

Neben der Langfristigkeit ist auch die Herangehensweise, genauer gesagt, die Einstellung der ausführenden Firmen relevant. Um die Vorteile für den Naturschutz auszuschöpfen müssen die ausführenden Firmen in Zukunft eine andere Qualität und andere Arbeitsweisen an den Tag legen. Das beginnt bei der Gehölzschau, die nicht nur die Höhe des Aufwuchses, die Baumarten und die damit verbundenen Wuchseigenschaften im Auge haben muss, sondern auch den Standort in seiner Biotopausstattung ansprechen können soll. Grundlage für das ökologische Trassenmanagement ist also eine biologisch fundierte Flächenkartierung. Hier sollte biologisches zum Zuge kommen.

Auf die Genehmigungsbehörden wirkt ein hoher Druck bei der Genehmigung von Trassen, sei es Neubau oder Instandsetzung. Den Spagat zwischen Naturschutz und den Anforderungen an den Energieausbau können technische Lösungen leichter machen. Lukas Brandner (Regierungspräsidium Kassel) nahm gute Impulse für die Entscheidungsfindung in Genehmigungsverfahren mit nach Hause. Die Veranstaltung war geprägt von einem regen und konstruktiven Austausch, mit dem Ansinnen, gemeinsam eine realistische Perspektive zu verfolgen. Modellregionen wie die Trasse im Nationalpark Kellerwald-Edersee können Vorbildfunktion erlangen, genau wie es an einigen Stellen schon kleine und kleinere Abschnitte unter Leitungstrassen gibt, die mit ökologischer Weitsicht gepflegt und entwickelt werden.

Das Umdenken hat bereits stattgefunden, jetzt muss es in der Fläche umgesetzt werden.

Lebensraum – Mosaike unter der Stromtrasse © Bernhard Schirutschke