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Die Zeitschrift GEO liefert in oftmals sehr gute Beiträge aus allerhand unterschiedlichen Bereichen. Neulich erst kam mir ein Text über die Beziehung zwischen Mensch und Natur unter die Augen, der mir im Gedächtnis geblieben ist. Dieser Artikel trägt den Namen “Eltern, zeigt euren Kindern die Natur” und bemängelt die fehlende Interaktion bzw. die fehlende Verbindung unsererseits zur Natur. Auch wird in dem von Peter Carstens geschriebenen Beitrag erwähnt, dass die Artenkenner für Flora und Fauna von einst nahezu verschwunden sind.
Dabei ist das Wissen um das Geschehen vor der Haustür immens wichtig, um sich mit der Natur zu identifizieren. Einen Umstand, welcher von Konrad Lorenz mit den passenden Worten „Man liebt nur, was man kennt, und man schützt nur, was man liebt“ beschrieben wurde.
Nun möchte ich an dieser Stelle keineswegs den Artikel wiederkaufen, sondern eher meine Gedanken dazu niederschreiben. Berufsbedingt sitze ich praktisch an der Front der Artenkenner und bekomme die Entwicklungen seit knapp zehn Jahren aus erster Hand mit. Aus meiner Sicht ist es richtig, dass sich immer weniger Menschen für einzelne Artengruppen erwärmen können. Allerdings ist nicht alle so schlimm, wie es im Artikel beschrieben wird. Fangen wir daher von vorne an.
Das Thema Umweltschutz ist zur Zeit in aller Munde und dringt so ganz langsam in Bereiche und soziale Schichten vor, die davon bislang nichts gehört hatten. Wohl wissend, dass nahezu überall Umweltschutz gleich Klimaschutz gesetzt und der Naturschutz dabei vergessen wird, finde ich diese Entwicklung erstmal grundlegend gut. Je grüner unsere Gedanken werden, umso besser. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem wieder eine Bereicherung weniger auf Kosten vieler stattfindet. Stichwort CO2-Steuer. Aber ich schweife ab.
Also, Umweltschutz ist derzeit ein heißes Eisen im Feuer, was durchaus kräftig geschmiedet wird. Die von mir sehr geschätzte und unterstützte Fridays for Future-Bewegung bspw. ist ein solcher Beleg dafür, dass vielen Menschen ein “weiter so” nicht länger gut genug ist und dingend ein Umdenken her muss. Aber all die schönen und gut klingenden Bewegungen reichen nicht aus, um das Artensterben in der Landschaft zu verhindern. Bei weitem nicht. Um dies zu erreichen braucht es an allererster Stelle Artenkenner, welche sich eingehend mit den unterschiedlichen tierischen und pflanzlichen Artengruppen befassen, ihre Habitatpräferenzen und Pflegeanforderungen kennen, auch mal selbst Landschaftspflege betreiben und ihr Wissen teilen und weitergeben. Dem nachgelagert muss eine Unterstützung aus behördlicher Richtung kommen. Ebenso muss ein Umdenken in der Gesellschaft erfolgen, welches Artenkenntnisse wertschätzt und entsprechend entlohnt. Es müssen Jobs und Ausbildungsberufe sowie Qualifikationen angeboten werden, die dieses Themenfeld attraktiv machen. Die Schweiz macht Ihren Projekt des “zertifizierten Artenkenners” einen guten Anfang. Es kann nicht sein, dass Studienabsolventen sich, wenn sie mal einen Job finden, von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln oder nur als billig Lohnkraft für ruhmestolle Professoren sind.
Alle schönen Klimaplakate in Kinderhänden nützen nichts, wenn die Insekten da draußen aufgrund mangelnder Habitatstruktur keinen Nahrungs- und Lebensraum finden.
An dieser Stelle komme ich zur Kernaussage des oben verlinkten Artikels. Immer weniger Menschen haben bspw. die Artenkunde als Hobby. Immer weniger Menschen können einen Marienkäfer von einer Muschel unterscheiden. Immer mehr Menschen können die Specs von Handys und all dem technischen Tand herbeten, der unter Strich so nichtig ist.
Aus meiner beruflichen Sicht muss ich neidvoll anerkennen, dass es Artenkenner in den zoologischen Bereichen durchaus noch häufig gibt. Vögel, Heuschrecken, Tag- und Nachfalter, Bienen, Spinnen und sogar Mollusken haben ihre Fans und jedes Jahr kommen neue hinzu. Kinder und Jugendliche werden in vielen Arbeitsgemeinschaften, Vereinen oder ehrenamtlichen Aktivitäten an das Regnum animale herangeführt, vernetzen sich mit Gleichgesinnten und entwickeln so eine Liebe zu den Mitlebewesen.
Gänzlich anders sieht es in der Botanik aus. Das Regnum plantae dümpelt, zumindest in meiner Wahrnehmung, in Sachen Nachwuchs vor sich hin. Die Studenten, die ich kenne bzw. betreue, biegen spätestens im dritten Semester des Grundstudiums in die faunistische Richtung ab und kehren der Flora den Rücken. Dabei ist die Pflanzenwelt der Grundstein allen Lebens und gerade da sind dedizierte Artenkenntnisse überaus wichtig, zeigen Pflanzengesellschaften schon lange im Voraus etwaige Veränderungen in der Natur an.
Leider ist die gegenwärtige Entwicklung anhaltend negativ. Viele Kinder wachsen ohne einen Bezug zur Natur auf und werden zu Spielplatz- anstatt zu Waldkindern. Vielen ist nicht mal der Unterschied zwischen Tag- und Nachtfalter oder Frosch und Kröte bekannt. Woher sollen sie es auch wissen? Meistens fehlt dieses Wissen bereits im Elternhaus. Da stehen andere Dinge im Mittelpunkt. Der Autor Peter Carstens appelliert in seiner Kolumne daran, den Kindern verstärkt die Natur zu zeigen. Ein Ansinnen, welche sich auch Veronika Eicher mit ihrem Blog Quercustexte auf die Fahne geschrieben hat.
Sie schreibt u.a. vom naturnahen Heranwachsen und dem Einbeziehen der Natur und all ihren Facetten in die Erziehung des Nachwuchses. Die Kombination dieser beiden Themen finde ich sehr schön und sinnig. Vielen Dank an dieser Stelle an Vero für deine Arbeit.
Also, was will ich eigentlich mit dem Text sagen? Umweltschutz ist durchaus ein Thema in der Gesellschaft. Nur fehlt es an eingefleischten Feldbotanikern und -zoologen, welche sich überdurchschnittlich mit den noch vorhandenen Arten vor ihrer Haustüre auskennen, Bestandsentwicklungen und Veränderungen in den Habitaten und Lebensräumen notieren und über die Jahre vergleichen. Was bitte ist besser daran, mit dem Smartphone irgendwelche Phantasiewesen zu suchen als reale Tiere und Pflanzen zu erspähen und kennen zu lernen?
Wie immer bin ich auf eure Meinung gespannt. Denkt ihr ähnlich oder seid ihr anderer Meinung? Habe ich etwas übersehen oder zu sehr durch meine Filter-Brille geguckt? Dann lasst es mich doch bitte in den Kommentaren wissen.
16. September 2019 um 7:17 pm Uhr
Das kann ich nur unterstreichen.
Die empirischen Daten unseres BISA-Projekts belegen einen signifikanten Rückgang der Vogel-Artenkenntnis um 20% in den vergangenen 10 Jahren.
https://link.springer.com/article/10.1007/s40573-018-0086-7
Da ich aber selbst nur an zweiter Stelle Empiriker und an erster Stelle Lehrer bin, möchte ich meinen Schülern das Tolle an der Artenkenntnis beibringen.
Dafür verknüpfe ich sehr gerne Online-Medien mit Outdoor-Erlebnissen. Wer z. B. Interesse an einem Pflanzenbestimmumgskurs für KINDER hat, wird auf http://www.bisa100.de fündig
Und wer sich an anderen Lebewesen versuchen möchte, wird auch fündig werden.
16. September 2019 um 7:47 pm Uhr
Hallo Thomas. In der Tat beobachte ich dein BISA Projekt schon länger. Ich hatte dir dazu mal eine E-Mail geschickt, in der ich dich um Material für eine Vorstellung deines Projektes auf meinem Blog bat.
Des Weiteren finde ich dein Tun sehr engagiert und überaus gewinnbringend für die derzeitige Situation in Sachen Artenkenntnis.
Viele Grüße und besten Dank für deinen Kommentar.
16. September 2019 um 7:51 pm Uhr
Sorry das hab ich wohl vergessen, übersehen. Was hättest du denn gerne für deinen Blog?
16. September 2019 um 7:58 pm Uhr
Hauptsächlich Bilder, die dein Projekt illustrieren und welche ich verwenden darf. Den Text sowie Screenshots fertige ich selber an.
27. August 2019 um 6:34 pm Uhr
Vielen Dank für eure Kommentare.
Ich selbst habe tagtäglich mit Studenten zu tun, die sich früher oder später “entscheiden” müssen, ob sie eher faunistisch oder botanisch weitermachen. Obwohl die beiden Themenbereiche gleichermaßen aktiv und facettenreich ausgestaltet werden, bleiben vergleichsweise nur wenige Interessierte in der Botanik hängen. Auch auf außerstudentischen Veranstaltungen, wie bspw. Exkursionen mit botanischem Bezug, Kartierungen zu diversen Pflanzen oder floristischen Tagungen, werden es immer weniger neue Gesichter.
Auf diesen Umstand angesprochen, bekomme ich die unterschiedlichsten Gründe zu hören. Vielen Neueinsteigern ist die Botanik mit ihren Varitäten, Unterarten, Hybriden und Bastarden einfach zu verwirrend. Während ein Feldhamster immer ein Feldhamster bleibt, ist es bei Pulsatilla pratensis subsp. nigricans oder Ophrys apifera var. saraepontana schon deutlich schwieriger. Auch sind manche Bestimmungsmerkmale wie Sternhaare, Drüsen oder Härchen an den Nodien bei Pflanzen nicht gerade einfach zu erkennen. Auch das häufige Wechseln der Nomenklatur macht das Pflanzenlernen nicht gerade einfacher.
Hinzu kommt der “Niedlichkeitsfaktor” bei einem sich bewegenden und trollig dreinschauenden Tier. Ich selbst versuche stets, die botanische Wissensvermittlung anregend und interaktiv zu gestalten, damit es für den Anfänger nicht zu wissenschaftlich wird und er die Lust nicht gleich zu Beginn verliert.
Es freut mich aber zu hören, dass in euren beiden Fällen die Botanik durchaus noch etwas Zulauf hat. Gerade die Kollegen aus Eberswalde sind mir gut bekannt und machen wirklich einen guten Job. Das wird mir auch stets von dortigen Studenten berichtet.
Viele Grüße und nochmals vielen Dank für die erübrigte Zeit.
27. August 2019 um 4:47 pm Uhr
Ich habe zwischen 2002 und 2005 an der HNE-Eberswalde Landschaftsnutzung und Naturschutz studiert, später weiter an der HS Osnabrück Landschaftsentwicklung. So konnte ich beide Studiengänge gut vergleichen.
In Eberswalde gab es eine unglaublich enge Verzahnung von Botanik, Pflanzenökologie und Bodenkunde. Das zeigte sich besonders durch Tages- und Wochenexkursionen sowie durch kleinere Projektarbeiten. Auch Hydrologie spielte teilweise mit hinein. Von meinem 55-köpfigen Semester schlug sich bestimmt über die Hälfte auf die Seite “Artenkenner Flora”.
In Osnabrück war hingegen die Zoologie stark ausgeprägt. Ein kommunikativer Prof. (Zucchi) hielt spannende Vorlesungen, bot außer der Reihe Mini-Veranstaltungen an und war/ist (Ruhestand) auch sonst sehr rege. Der Botaniker hingegen zog sich gerne zu seinen Mikroskopen zurück und ging das Ganze sehr wissenschaftlich an. Auch interessant, habe bei ihm freiwillig noch ein Seminar mitgemacht und viel gelernt. Aber nur durch seine Veranstaltungen wäre ich mit Sicherheit nicht in der Pflanzenökologie hängen geblieben 😉
Wie Britta schon schrieb: Es kommt oft sehr auf die Professoren vor Ort an. Wie sehr sie Studenten mitnehmen und ja, auch begeistern, können.
27. August 2019 um 4:24 pm Uhr
Obwohl ich schon älter bin, mache ich gerade meinen Bachelor in Biologie in Hamburg. Wenn ich die erste Hälfte meines Bio-Studiums in den 1990ern mit heute vergleiche, fallen mir natürlich inhaltliche Verschiebungen auf. Einerseits ist viel weniger Zeit um Arten zu bestimmen, nicht nur in der Botanik. Zwar müssen die Studierenden eine Liste von 100 (glaube ich) Pflanzen lernen und zuordnen können, doch das begeistert lange nicht für Artenkenntnis. Aber die Begeisterung für Botanik hielt sich bei den meisten auch früher in Grenzen.
Dafür gibt es aber viel mehr Stunden für Ökologie. Damals hatte ich 2 Wochenstunden Vorlesung, heute sind es ein Praktikum und eine wirklich umfangreiche Vorlesung. Und je nach Prof spielt die Ökologie auch in angewandte physiologische Fragen hinein. Wenn man will, kann man da mit verknüpftem Denken viel rausholen – dass viele das vielleicht nicht wollen, steht ja auf einem anderen Blatt.
Fazit: Auch vor 25 Jahren konnte man sich sehr gut ohne Artenkenntnis durchs Studium lavieren. Gut finde ich das nicht.